Ein-, Aus-, Drauf- und andere Sichten

Anrisstext: 
Damit ein Motorradjournalist genug Material zum Schreiben hat und zu Einsichten gelangt, braucht es nicht unbedingt wochenlange Tests, unzählige Runden auf abgesperrten Rennstrecken oder meterlange Tabellen, in denen Sekundenbruchteile und die Endgeschwindigkeit auf drei Stellen hinter dem Komma festgehalten werden. Für ganz fundamentale Einsichten reichen oft auch nur ein paar wenige Kilometer. Und je weiter dabei der Pfad des gewohnten verlassen wird, um so tiefsinnigerer können sie ausfallen.

Kürzlich hatte ich meine persönliche und heissgeliebte grosse Touren-Enduro im (ausserplanmässigen) Service.
Der Tag fing eigentlich ganz normal an und dann hatte ich doch noch so einige überraschende Erlebnisse und Einsichten auf die ich so eigentlich nicht gefasst war. Und das kam so ...

Als es um's Ersatzmotorrad ging, meinte der Schrauber meines Vertrauens: "Nimm mal die da."

Mit “die da”, meinte er die Suzuki Intruder C1800RT; einem Top of the Line Street Cruiser in vollem Ornat. Mit grosser Windschutzscheibe, Satteltaschen, Sissybar, und allem Pipapo. Eine beeindruckende Erscheinung.

“Ähhhh … das ist dein voller Ernst, oder ?”

"Ja, sicher. Aber mach mir nicht zu viele Kilometer. Keine grossen Touren ! Verstanden?"

"Ja Chef."

Heiligs Blechle! Ich und ein Bike mit 402 Kilo Gesamtgewicht!

Also schön und gut ... "Size doesn't matter" und "Bangemachen gilt nicht".

Wenn ich mich auf ein neues Motorrad setze, möchte ich doch schon ganz gerne wissen, mit was ich es zu tun habe. Und so habe ich mich auf meine 15 Kilometer lange, ganz persönliche Teststrecke gemacht. Und das kann nicht einmal Alex als "grosse Tour" deklarieren.

Um das Nachfolgende vielleicht etwas in Relation bringen zu können, möchte ich eine kleine Bemerkung vorneweg machen.

Ich bin ein absoluter Fan der SUZUKI Intruder M1800N. Und das ohne Wenn und Aber. Eigentlich (fast) das selbe Motorrad mit dem gleichen Motor. Nicht weil ich plötzlich dem Gigantismus huldige oder von der Cruiserwelle weichgespült worden bin, sondern weil das Ding von einem absoluten Übermotor angetrieben wird. Als bekennender Drehmoment-Fetischist beeindrucken mich hundertsechzig Newton Drehmoment bei schlappen 3'200 U/min ungemein. Da kommt richtig Stimmung auf. Und das “Motörli”, in dem sich zwei Kolben so gross wie ein Milchkessel auf und ab bewegen, legt eine Drehfreude an den Tag, dass man den ganzen Tag nur noch jubeln möchte. Eigentlich glaube ich ja, dass ich mit meinen 100 Newton von meiner persönlichen Maschine schon recht gut bedient bin. Aber die grosse Trude ... einfach nur ... Wahnsinn !

Also zurück zu meinem Ersatzmotorrad, welches ich mit einer gewissen Reserviertheit entgegengenommen habe.

Ich setz' mich also drauf, fummle den Zündschlüssel irgendwo unter meinem linken Oberschenkel ins Schloss und ... BROOOUMMM-Tüff-Tüff-Tüff ... der Übermotor hat ganz unaufgeregt seinen Dienst aufgenommen. Erster Gang ... “Hallo erster Gang!” ... ach ja ... irgendwo weit vorne findet sich der Ganghebel... und los geht’s. Nach dem Anfahren muss ich tatsächlich auf die Füsse schauen, denn ich finde die Fussrasten nicht. Gibt's ja auch nicht, denn dieser reiskochende American Cruiser hat ja Trittbretter ... auch weit vorne angedengelt. Das, zusammen mit dem breiten Lenker ergibt eine ... umschreiben wir es wohlwollend als ... für einen Tourenfahrer eine etwas gewöhnungsbedürftige Sitzposition. Gleich nach dem Losfahren fühlt man sich allerdings ein ganz klein wenig deplaziert und so etwas, was man wohl mit abstrus-komisch-lächerlich umschreiben würde. Alles ist extrem ungewohnt.

Zum Glück geht's die ersten beiden Kilometer nur geradeaus. Die höheren Gänge kann man mit dem Absatz reinkicken; nettes kleines Feature. Aber dann ...die erste Kurve. Das hohe Gewicht, die fetten Reifen, die Unwilligkeit anders als geradeaus fahren zu wollen, und die aberwitzige Sitzposition ergeben eine gehamplete Vorstellung meinerseits, mit der ich ohne Probleme, jeden Komiker-Award abgeräumt hätte. "Heiland-Mailand, wie kann man nur ?"

Zum Glück ist der Motor ein echter Freund und braucht keine spezielle Aufmerksamkeit. Allerdings ... wie kann man ein Motorrad ohne Drehzahlmesser bauen? Mir persönlich ist so etwas absolut unverständlich.

Unterdessen bezweifle ich meine ureigene Weisheit, das "Ding" auf meiner Teststrecke auszuprobieren zu wollen und die Kantonsstrassen verlassen zu haben. Der Dampfer schaukelt ganz schön auf den kleinen Strässchen und Schräglagen versuche ich beim durchwürgen der Kurven zu vermeiden (ich getraue mich dem nicht durchfahren zu sagen). Meine untypische Zurückhaltung kommt vielleicht auch von da her, dass ich das "Heavy Iron" nicht zerkratzen möchte. Es soll ja noch der Stolz eines freundlichen Bikers werden.

Nach der kurzen Testfahrt, die bei mir mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert hat, tuckere ich gemächlich nach Hause. Kurz nach der Mittagszeit geht’s zurück zu Alex, um mein nun noch weit mehr geschätztes persönliches Motorrad vom Service abzuholen.

"Und ?"

"Lieber Alex, du musst dir nie, aber auch wirklich nie mehr Gedanken machen, dass ich mit diesem ... ähhh ... Dingsbums eine Tour machen könnte. Nicht wirklich. Ich schwör's !"

"Jaja, das ist halt einmal etwas anderes."

"Das kannst du laut sagen."

Und dabei grinst er auch noch unverschämt.

Dann nehme ich unter Freudentänzen _mein_ persönliches Möppi wieder in Empfang. Es hat nun neue Kerzen, neue Kerzenstecker und der zugepappte Luftfilter wurde auch gewechselt.

Wenn ihr wüsstet, wie ich in diesem Moment mein (V-)Strömli liebe. Diesen Hochschwang der Gefühle konnte auch eine Biene nicht beeinträchtigen, die mich etwas später unter das linke Auge gestochen hat (Helmvisier offen, es ist ja warm).

Und plötzlich wusste ich auch wieder, was mir am Motorradfahren so gefällt: Es ist die pure Dynamik des Fahrens; die Beschleunigung, das Abbremsen, aber auch die Wendigkeit, das Abwinkeln des Gefährts in die Schräglage. Das Gefühl, jederzeit mit der Maschine das machen zu können, was man will, ohne dass einem die Technik etwas aufzwingt oder Grenzen setzt.

Manchmal braucht es ganz offensichtlich einen motorisierten Kontrapunkt, um es einem wieder einmal in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, warum man etwas liebt und vorzieht.

Aber wenn sich jemand anderes auf ein "Heavy Iron" schwingen will, um gut motorisiert geradeaus cruisen zu wollen ... auch gut. Diversität ist doch der Reichtum des Lebens.


 

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