Wenn schon Unvernunft, dann aber richtig!

Anrisstext: 
Eine Glosse zu Sinn oder Unsinn im Motorradbau. Macht ein 12-Zylinder in einem Motorrad eingebaut Sinn? Oder ist es die schiere Unvernunft? Wir gehen der Sache nach und entdecken, … das Konzept ist ausbaufähig.

Haben sie es bemerkt? Da war es wieder, das kurze Aufflackern der schieren Unvernunft in der Fachpresse. Professionelle Bedenkenträger haben entsetzt aufgeheult und die Puristen haben abschätzig gelächelt (andere würden das wohl eher als „niederträchtig gegrinst“ taxieren).

Um was geht’s? Da hat Frank Ohle aus Wuppertal einen 6 Liter Aston Martin V12 in ein umgebautes Hoss Boss Fahrwerk eingepflanzt, und brettert nun mit seinem 750 Kilo schweren und 435 PS starken selbstgebautem Unikat, mit einem Spritverbrauch von bis zu 30 Litern, durch Deutschlands Landen.

So weit so gut. Aber ist DAS wirklich unvernünftig? Wir finden NEIN, es geht noch besser. Und als Denkansatz zu wirklich Grossem finden wir dieses Projekt als wirklich hervorragend geeignet.

Schauen wir genauer hin. Franks Wuchtbrumme ist bleierdenschwer, hat einen Motor, dessen Leistung zwar durch absolute Zahlen beeindruckt, aber nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit ist und sich durch einen Verbrauch auszeichnet, den man in der heutigen Zeit einfach als vulgär bezeichnen muss.

Beim Fahrwerk scheint ein Schweissgerät nötig gewesen zu sein, mit dem man auch ein paar alte Eisenbahnschienen zu einem Motorradrahmen zusammenbruzzeln konnte, damit der gute alte englische V12 ein Zuhause fand. Leider finden sich am ganzen Fahrzeug keine weiteren Finessen wie etwa eingebaute Mikrowelle, Rettungsboot, Schwedenofen, aufblasbare Campingausrüstung oder ausklappbarer Wintergarten.

Es ist aber nicht einfach so, dass ich einem 12-Zylinder-Motorrad die Existenzberechtigung absprechen möchte, ganz im Gegenteil. Wenn schon … denn schon.

Ich könnte mir durchaus ein innovatives, nachhaltiges 12-Zylinder-Motorrad aus Europa vorstellen, mit einer adäquater Leistung von deutlich über 500 PS, mit einem bäriges Drehmoment bereits bei niederen Drehzahlen und einem Verbrauch, der deutlich unter 20 Liter auf 100 km liegt. Natürlich müsste diese Triebwerk in einem zeitgemässen Fahrwerk stecken, welches auf der Höhe der Zeit ist und dem Fahrer minimale Annehmlichkeiten wie Griff- und Sitzheizung bietet. Vor allem die nunmehr unumgängliche Sitzheizung braucht es heute in unserem mediterranen Sommer je länger je mehr.

Wo ist der aufgeweckte Fahrzeug-Ingenieur, welcher einfach die bereits vorhandenen Module zum grossserientauglichen Motorrad zusammenkomponiert ?

Das könnte so aussehen:

Man nehme ... den TwinPower Turbo 12-Zylinder-V-Benzinmotor von BMW mit 544 PS. Der liefert auch ein sattes Drehmoment von 750 Newton bei bereits 1'750 U/min. Genügend Kraft um mit erhöhter Leerlaufdrehzahl die Eiger-Nordwand in der Direttissima angehen zu können.

Man nehme ... ein zeitgemässes Fahrwerk, wenn möglich vom gleichen Hersteller wie das Prachtstück von Motor. Zum Beispiel das der R 1200 GS Adventure. Hier ist schon alles enthalten, was wir heute an einem neuen Motorrad auf keinen Fall mehr missen möchten:

- Enduro ESA
- BMW Motorrad Integral ABS (teilintegral, abschaltbar)
- RDC
- ASC
- ecWWS (electronic controlled Weisswurst-Sieder)
- SADL-CIA (Satelliten unterstützter Direkt-Link nach Langly, Virginia)
- Auspuffanlage verchromt
- Zusatzscheinwerfer
- Optimierter Navigatorhalter
- Handprotektoren
- Kofferhalter
- Wohnwand (echt deutsche Eiche)
- Kreuzspeichenräder
- Bordcomputer mit Ölstandswarner
- Diebstahlwarnanlage mit Fernbedienung

Man sollte allerdings noch anfügen, dass die Speichen des Hinterrades wohl die Dimension eines gut entwickelten Männer-Unterarmes haben müssten (siehe Drehmoment). Und ... weil man bei der GS stylistisch nicht mehr viel verschandeln kann, müsste die neueste Innovation aus München, das adaptive Kurvenlicht des neuen 6-Zylinder-Tourers, ganz unbedingt auch noch irgendwie verbaut werden. Des passt scho!

Dass die Fuhre selbstverständlich auf stollenbestückten Geländereifen daherkommt, ist selbstredend. Muss doch ein Fahrzeug gerade dieser neuen Top-Kategorie seine Vielseitigkeit im bodenlosen Morast und sonstigem anspruchsvollen Gelände beweisen können. Notorische Skeptiker verweisen in dem Fall sofort auf das Fahrzeuggewicht, welches bei einer V-12-Konfiguration im Gelände sicher nicht unerheblich zu Buche (und eventuell auch zu Boden) schlagen und damit ein graziöses Alpenstein-Ballett verunmöglichen würde.
Aber dank dem Motorengewicht von lediglich 240 Kilogramm für den V-12, sollte sich für die Über-GS ein Gesamtgewicht von nur knapp 500 Kilo realisieren lassen. Was bei dieser Leistung und Ausstattung geradezu ein Klacks ist. Zugegeben, das Gesamtgewicht klettert schnell auf ca. 1,8 Tonnen, wenn wir das als PDF-Datei mitgelieferte Benutzerhandbuch (1,37 Terabyte) ausdrucken, in welchem auch das hinterste und letzte elektronische Helferlein pedantisch genau beschrieben ist. Aber Hand aufs Herz … ist jemals irgend jemand mit der ausgedruckten Betriebsanleitung ins Gelände gefahren? Na also!

Und nun die unvermeidliche Fragen … was hätten wir (die Konsumenten und Liebhaber leistungsstarker, multitalentierter Motorräder) von so einem Fahrzeug? Und … was würde es dem Hersteller, in unserem fiktiven Beispiel BMW, einbringen?

Nun … BMW wäre mit der Über-GS wieder in jeder Beziehung an der Spitze der grossen Reise-Enduros. Am meisten Leistung, am meisten Drehmoment und die meisten Zylinder am Motor. Das ist nicht ganz unwichtig. Droht doch am Verkaufshorizont Honda mit der V4-Crosstourer und eine 6-Zylinder Goldwing auf Stollenreifen wurde auch schon gesichtet. Aber diese Argumentation ist eigentlich überflüssig. Wie sagt der Bayer doch so schön? „Wer koa, der koa.“ (Wer kann, der kann.) Genau! Und die Bayern können wirklich. Motorräder bauen, zum Beispiel. Oder einfach ins Regal des Konzerns greifen, und einen schon bestehenden Super-V12 hervorzaubern. Um an dieser Stelle noch einen anderen bekannten Bayern zu Wort kommen zu lassen: „Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“

Nun … wir anspruchsvolle Konsumenten hätten endlich die Über-Reise-Enduro auf die wir nun schon seit ewig und drei Tage warten müssen.
- Die V12-Doppel-Turbo-Über-GS mit ABS
- 544 stramme Pferdchen welche mit dem Futter sparsam umgehen
- Vollelektronisches Perry Rhodan Fahrwerk mit allem Schnick und Schnörkel
- Indiana Jones Anmutung dank Stollenreifen
- nie dreckige Hände weil … selbstverständlich mit Kardanantrieb

Mit dieser V12-Doppel-Turbo-Über-GS (ABS) könnte man mühelos von Berggipfel zu Berggipfel hüpfen und wir müssten uns an der französischen Riviera nicht von jedem Ferrari- oder Maserati-Fuzzi die Schau stehlen lassen. Wir brauchten endlich keine Komplexe mehr zu haben (wie’s auf dem stillen Örtchen oder unter der Dusche aussieht, ist allerdings eine ganz andere Geschichte, die hier nichts zur Sache tut).
Es gäbe noch so viele schlagkräftige und intellektuell brilliante Argumente, welche den Vorwurf der Unvernunft in Null-Komma-Nix entkräften könnte.

Aber wollen wir das?

Unvernunft könnte sooooo schön sein. Man müsste nur entsprechend konsequent sein.

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Nachtrag 1: Mit diesem Geschreibsel will auf gar keinen Fall das V12-Projekt von Frank Ohle schlecht gemacht werden. Ganz im Gegenteil. Super, dass es noch solche Typen gibt, die einfach das in Angriff nehmen und auch umsetzen, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Unvernunft hin, Rationalität her. Weiter so Frank!

Nachtrag 2: BMW baut mit der R 1200 GS nicht nur die meistverkaufte Reise-Enduro unserer Zeit, sondern diese ist nach rund 30 Jahren liebevoller Entwicklung zu einer oder gar zur besten Reise-Enduro überhaupt geworden. Natürlich wird „die GS“ immer noch weiterentwickelt (wassergekühlte Prototypen wurden bereits gesichtet) und so wie der Boxer heute daher kommt, besteht sicher kein Bedarf, die Zylinderanzahl zu erhöhen. Es geht aber leicht vergessen, dass der Verkaufserfolg Nummer 1 bei BMW Motorrad, damals von ein paar wenigen Leuten initiiert wurde, die zu jener Zeit wohl auch mit dem Prädikat „abartige Spinner“ leben mussten. Aber wirkliche Innovation kommt eben immer von ein paar wenigen Querdenkern die sich nicht beirren lassen. Und so gesehen hat sich BMW Motorrad zu so etwas wie einer veritablen europäischen „Klapsmühle für Motorradentwickler“ gemausert, denn Innovation ist heute wieder in München zu Hause. Also nur Mut. Es müssen nicht unbedingt 12 Zylinder sein. Wie wär’s mit einer Reise-Enduro mit dem K1300-Motor ?


 

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