Der Altersvorsorge geht das Geld aus. Nach 20 Jahren soll am 24. September an der Urne ein Reformpaket durchgeboxt werden, das mit ungleichen Ellen misst. Der AGVS ruft zur Nein-Parole auf. AGVS-Zentralpräsident Urs Wernli erklärt, warum.
Herr Wernli, der AGVS spricht sich dezidiert gegen die Altersvorsorge 2020 aus. Wieso gönnen Sie den Pensionierten keine 70 Franken mehr im Monat?
Von Missgunst kann keine Rede sein. Mit dieser Reform würde eine Zwei-Klassen-AHV eingeführt, denn die aktuellen Rentner bekommen die 70 Franken an ihre AHV-Rente nicht. Das ist ungerecht und verwässert den Grundsatz der AHV, dass alle gleichbehandelt werden. Die heutigen Rentner werden gar noch zur Kasse gebeten, indem sie die Reform über höhere Mehrwertsteuern mitfinanzieren müssen.
Die Reform besteht aus einem ganzen Paket an Massnahmen. Welche befürwortet der AGVS, welche lehnt er ab? Gibt es hier eine Priorisierung?
Die Reform kann nur als Einheit betrachtet werden. So wäre es falsch, einzelne Punkte zu priorisieren oder abzulehnen. Die Reform als Ganze muss abgelehnt werden. Dass Handlungsbedarf besteht, ist unbestritten. So werden wohl eine Senkung des Umwandlungssatzes und die Erhöhung des Frauenrentenalters in naher Zukunft nötig sein. Dies muss aber aus der Sicht des AGVS mittels einer fairen, ausgewogenen und langfristig angelegten Reform geschehen.
Wo stecken die Gefahren der Vorlage für die Garagisten?
Auf die extrem stark dem Wettbewerbs- und Margendruck ausgesetzten Garagenunternehmen und ihre Mitarbeiter kommen bei einer Annahme der Vorlage düstere Zeiten zu. Etwa die Neuregelung des Koordinationsabzugs macht das System für die Versicherten noch undurchsichtiger. Zudem schafft die Reform ein Bürokratiemonster und stellt insbesondere für kleine und mittelgrosse Unternehmen und so auch für unsere Mitglieder eine grosse Herausforderung dar. Der AGVS setzt sich seit Jahren für einen Bürokratieabbau ein und verfolgt auch hier dieses Ziel.
Eine Ablehnung der Vorlage ändert nichts an den Problemen unserer Altersvorsorge: Wie muss es nach einem Nein am 24. September weitergehen?
Ein Nein zur Reform schafft die Voraussetzung für eine echte Reform, welche die Altersvorsorge nachhaltig sichert. Ein Ausbau mit der Giesskanne ist dann definitiv vom Tisch. Übrig bleiben die zentralen und praktisch unbestrittenen Massnahmen: die Angleichung des Frauenrentenalters, eine moderate Zusatzfinanzierung für die AHV und die Senkung des Mindestumwandlungssatzes mit sozial verträglicher Kompensation. Dies alles lässt sich rasch in verdaubaren Portionen umsetzen – ohne systemwidrige Vermischung der unterschiedlichen Säulensysteme in einem komplizierten Gesamtpaket.
Die Arbeitgeber scheinen gespalten: Die Westschweizer Arbeitgeberverbände stehen hinter der Reform, die Deutschschweizer lehnen sie ab. Wie ist die Lage im AGVS? Ist man hier geschlossen gegen die Vorlage?
Die Präsidenten der AGVS-Sektionen haben sich unisono gegen die Reform ausgesprochen. Wir sind als AGVS also geschlossen dagegen. Natürlich ist jeder frei zu stimmen.
Wie engagiert sich der AGVS im Abstimmungskampf?
Ziel des Projekts «Altersvorsorge 2020» war die finanzielle Sicherung der Altersvorsorge sowie deren Anpassung an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Dies wurde nun verfehlt. Der AGVS unterstützt das Nein-Lager mit Berichterstattung und Aufklärung in den eigenen Medien und wird sich bei Bedarf auch gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit äussern.
Ganz grundsätzlich: Müssen wir uns in der Schweiz darauf einstellen, dass die Altersarmut zurückkehrt?
Auch in der Schweiz gibt es leider Armut im Alter – trotz AHV und Ergänzungsleistungen. Das zeigt unter anderem eine Studie der Pro Senectute zum Thema Altersarmut. Wichtig ist aber, zu erkennen, dass diese Armut nicht mit der zur Abstimmung stehenden Reform beseitigt werden kann. So wird diese insbesondere für die Bezüger von Ergänzungsleistungen zum Bumerang. Jeder Franken, den sie zusätzlich aus der AHV bekommen, wird ihnen bei den Ergänzungsleistungen wieder abgezogen. Weil sie die zusätzliche AHV – anders als die EL – versteuern müssen, haben sie Ende Monat sogar ein paar Franken weniger im Portemonnaie als heute.
Altersvorsorge 2020 – darum geht’s
Unsere Altersvorsorge hat ein Finanzierungsproblem. Dies soll mit der am 24. September 2017 zur Abstimmung gelangenden Reform «Altersvorsorge 2020» gelindert werden. Konkret haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über zwei Reformen zu befinden:
► Der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch Erhöhung der Mehrwertsteuer vom 17. März 2017. Diese Reform verlangt eine Verfassungsänderung, weshalb sowohl das Volks- als auch das Ständemehr erreicht werden muss.
► Das Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020, welches das Volksmehr erreichen muss.
Während der Reform-Rundumschlag eine grosse Kontroverse im Bundesparlament ausgelöst hat, steht bislang nur eines fest: Die Altersvorsorge 2020 aus der Feder von Bundesrat Alain Berset tritt nur in Kraft, wenn beide Vorlagen angenommen werden. Ein Szenario, das der AGVS (siehe Interview), der Schweizerische Gewerbeverband und bürgerliche Kreise verhindern wollen.
Massnahmen-Papiertiger
Die Reform «Altersvorsorge 2020» ist ein Paket aus verschiedenen Massnahmen. Einerseits soll die AHV entlastet, andererseits sollen zusätzliche Einnahmequellen erschlossen werden. Konkret:
► Die Mehrwertsteuer wird per 1. Januar 2018 um 0,3 Prozent, im Jahr 2021 nochmals um 0,3 Prozent erhöht. Die zusätzlichen Gelder kommen in den AHV-Topf.
► Das Rentenalter für Frauen soll in vier Etappen auf 65 Jahre erhöht werden und jährlich bis zu 1,3 Milliarden Franken in die Altersvorsorgekassen spülen.
► Der Mindestumwandlungssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge wird ab 2019 in vier Schritten von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt. Etwa jeder fünfte Versicherte ist betroffen.
► Die Sparbeiträge in der zweiten Säule werden ab 2021 um 0,3 Prozent erhöht.
► Die Altersgutschriften der 35- bis 44- respektive der 45- bis 54-Jährigen werden in der AHV um je ein Prozent angehoben.
►Jeder Neu-AHV-Bezüger bekommt ab 2019 monatlich 70 Franken mehr ausbezahlt.
► Der Rentenbezug zwischen 62 und 70 Jahren soll ab 2018 flexibler werden.
► Neurentnerpaare erhalten ab 2019 fünf Prozent mehr Rente.
Rundumschlag mit Tücken
Die Reform will die AHV mit Einnahmen aus höheren Mehrwertsteuern retten und lockt mit einem geschickt verpackten Zückerchen: 70 Franken mehr AHV pro Monat respektive 840 Franken pro Jahr sowie höhere Beiträge für Rentnerehepaare. Vergessen geht derweil das urtypische Grundprinzip der Schweizer Altersvorsorge, der Generationenvertrag. Denn die Reformvorteile kommen erst in den nächsten Jahren zum Tragen und schliessen die aktuellen Bezüger aus.
Ein Rechenbeispiel
Der www.ahv-rechner.ch zeigt auf, welche Folgen die Annahme der Reform «Altersvorsorge 2020» für den Einzelnen hat. Ein Beispiel: Ein 35-jähriger Automobil-Mechatroniker mit einem Jahreseinkommen von 60 000 Franken muss nach der AHV-Reform pro Jahr 683 Franken mehr bezahlen. Auf seinen Arbeitgeber kommen jährlich Mehrkosten über 503 Franken zu.
Kommentare
Kommentar hinzufügen